Critique16. Januar 2025 Cineman Redaktion 2l532b
Filmkritik: «L'Histoire de Souleymane»: Im Schatten von Paris – Räder, die niemals ruhen 6s4h1b

Der neue Film von Boris Lojkine gewährt einen aufrüttelnden und wichtigen Einblick in eine Lebensrealität, die bislang im Kino kaum repräsentiert wurde.
Von Kilian Junker
Souleymane (Abou Sangare), ein junger Migrant aus Guinea, arbeitet in Paris als Fahrradkurier für einen Essenslieferdienst. Von den frühen Morgenstunden bis spät in die Nacht rast er durch die Strassen der Stadt – immer im Eiltempo, ohne Pausen. Doch trotz der schweisstreibenden Arbeit bleibt ihm nur ein Bruchteil seines ohnehin geringen Lohns, da er keine legale Arbeitserlaubnis hat. Zu der körperlichen und seelischen Erschöpfung kommt die zusätzliche Last seines Kampfes um Asyl und eine offizielle Arbeitserlaubnis hinzu – ein Ziel, das nicht nur seinen Gedanken vollständig in Anspruch nimmt, sondern auch seine finanziellen Reserven bis aufs Letzte aufbraucht.
Lojkines Film wagt es, einen Alltag ins Zentrum zu rücken, der im Spielfilm bisher kaum Beachtung gefunden hat. Dabei konzentriert sich die Erzählung nicht auf eine Gruppe oder ein grösseres Ganzes, sondern ausschliesslich auf Souleymane. Der Zuschauer bleibt stets an seiner Seite und erlebt die Geschehnisse durch eine intime, körperliche Nähe, die durch den konsequenten Einsatz von Schulterkameras verstärkt wird. Diese Unmittelbarkeit vermittelt eindringlich die Härte und oft auch die Gewalt, die Souleymanes Alltag prägen. Man wird förmlich hineingezogen, durchgeschüttelt und lässt sich kaum davon lösen.
Diese visuelle Intimität eröffnet zugleich einen neuen Blick auf eine vermeintlich vertraute Umgebung. Obwohl der Film in den zentralen Arrondissements von Paris spielt – einem Schauplatz, der schon zahllose Male auf der Leinwand zu sehen war – wirkt die Stadt hier fremd. Sie erscheint als ein unaufhörlicher Wirbel aus Verkehr und Bewegung. Souleymane hetzt durch ein Paris, das weder zum Verweilen noch zum Betrachten einlädt. Statische oder weite Kameraeinstellungen, die der Stadt sonst oft eine ästhetische Ruhe und Harmonie verleihen, fehlen völlig. Für Souleymane – und damit auch für den Zuschauer – zeigt Paris ein unerwartet raues, gehetztes Gesicht.
Über anderthalb Stunden hinweg zieht uns der Film in einen permanenten Wettlauf, dessen Ziel unerreichbar bleibt. Die rasante Schnittfolge spiegelt den unaufhaltsamen Rhythmus von Souleymanes Alltag wider. Wie ein Strudel zieht der Film uns mit sich, und nur selten gibt es Momente, in denen wir gemeinsam mit dem Protagonisten kurz Luft holen können. Diese seltenen Augenblicke der Menschlichkeit sind jedoch entscheidend für die Wirkung des Films. Sie verhindern, dass Lojkines nüchterne und schonungslose Darstellung einer prekären sozialen Situation ins Pathos oder in Mitleid abgleitet.
«L'histoire de Souleymane» ist ab dem 16. Januar 2025 im Kino zu sehen.
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